
Prototyp vs. Serie: Wann ist der richtige Zeitpunkt zum Skalieren?
Der Sprung zur Serienfertigung birgt Risiken – aber auch Chancen. Das 5-Stufen-Reifegradmodell hilft bei der Entscheidung.

Hommer Zhao
Gründer & CEO, WellPCB
Der Sprung vom Prototyp zur Serienproduktion ist einer der kritischsten Momente in der Produktentwicklung. Zu früh skaliert, verbrennen Sie Geld für Tooling und Materialien, die bei der nächsten Designänderung obsolet werden. Zu spät skaliert, verpassen Sie den Markteintritt und überlassen der Konkurrenz das Feld. Die Kunst liegt im richtigen Timing – und in der Vorbereitung.
In über 15 Jahren Fertigung von Leiterplatten und elektronischen Baugruppen habe ich beide Extreme erlebt: Kunden, die mit Version 1.0 direkt in die Massenproduktion gegangen sind (und bitter bereut haben), und Kunden, die nach dem zehnten Prototypen immer noch "noch eine Kleinigkeit" ändern wollten. In diesem Artikel zeige ich Ihnen, wie Sie den optimalen Zeitpunkt für die Skalierung erkennen.
Die Kernaussage dieses Artikels
Die Entscheidung zur Skalierung ist keine Frage von "fertig oder nicht fertig", sondern eine wirtschaftliche Optimierung zwischen Risiko und Opportunitätskosten. Der richtige Zeitpunkt liegt dort, wo die Kosten weiterer Prototypen-Iterationen die potenziellen Einsparungen durch Designverbesserungen übersteigen.
Was ist ein Prototyp, was ist Serie?
Bevor wir über den Übergang sprechen, sollten wir die Begriffe klar definieren – denn in der Praxis gibt es viele Zwischenstufen:
| Phase | Stückzahl | Zweck | Typische Kosten |
|---|---|---|---|
| Proof of Concept | 1-3 Stück | Machbarkeit beweisen | Höchste Stückkosten |
| Funktionsmuster | 5-20 Stück | Design validieren, testen | Hohe Stückkosten |
| Vorserie (Pilot) | 50-500 Stück | Prozess validieren, Feldtest | Mittlere Stückkosten |
| Kleinserie | 500-5.000 Stück | Erste Kunden, Markttest | Reduzierte Stückkosten |
| Serienfertigung | >5.000 Stück | Skalierter Vertrieb | Niedrigste Stückkosten |
Der klassische Fehler: Phasen überspringen
Ein häufiger Fehler, besonders bei Start-ups unter Zeitdruck: Der Sprung direkt vom Funktionsmuster in die Serienfertigung. Das Problem: Die Vorserie existiert aus gutem Grund. Sie validiert nicht nur das Produkt, sondern auch:
- Fertigungsprozesse: Kann die Serie überhaupt reproduzierbar gefertigt werden?
- Lieferkette: Sind alle Bauteile in Serienstückzahlen verfügbar?
- Testverfahren: Skalieren die Prüfmethoden?
- Dokumentation: Ist alles für Audit und Zertifizierung vorbereitet?

“Ein Prototyp, der funktioniert, ist noch lange kein serienreifes Produkt. Die Vorserie zeigt, ob Ihr Design auch die zehnte, hundertste und tausendste Einheit überlebt.”
Hommer Zhao
Gründer, pcbleiterplatte.com
Das 5-Stufen-Reifegradmodell
Um den optimalen Skalierungszeitpunkt zu bestimmen, nutzen wir ein Reifegradmodell mit fünf Dimensionen. Jede Dimension muss einen gewissen Reifegrad erreichen, bevor die Skalierung sinnvoll ist.

Dimension 1: Technische Reife
| Reifegrad | Kriterien | Bereit für |
|---|---|---|
| ★☆☆☆☆ | Konzept funktioniert auf Breadboard | Proof of Concept |
| ★★☆☆☆ | Erstes PCB funktioniert mit Nacharbeiten | Funktionsmuster |
| ★★★☆☆ | Design besteht alle Funktionstests | Vorserie planen |
| ★★★★☆ | EMV, Umwelttests bestanden | Vorserie starten |
| ★★★★★ | Qualifikation abgeschlossen, keine offenen Punkte | Serienfertigung |
Dimension 2: Fertigungsreife (DFM)
Design for Manufacturing (DFM) ist entscheidend für erfolgreiche Skalierung. Ein Design kann technisch perfekt sein und trotzdem Fertigungsprobleme verursachen.
DFM-Checkliste für Skalierung
- □ Alle Bauteile als SMD (wo möglich) – THT erhöht Fertigungskosten
- □ Bauteil-Orientierung vereinheitlicht (ICs in gleicher Richtung)
- □ Keine Bauteile unter 0402 ohne zwingenden Grund
- □ Testpunkte für ICT eingeplant
- □ Panel-Design optimiert (Nutzenausnutzung)
- □ Stencil-Design verifiziert (Aperture-Verhältnisse)
- □ Reflow-Profil für alle Bauteile kompatibel
- □ Keine thermisch kritischen Bestückungsreihenfolgen
Dimension 3: Supply Chain Reife
Die Lieferkette ist oft der unterschätzte Flaschenhals. Ein Bauteil, das im Prototypen problemlos vom Distributor kam, kann in Serienstückzahlen Lieferzeiten von 52 Wochen haben – oder gar nicht verfügbar sein.
| Risikolevel | Situation | Maßnahme |
|---|---|---|
| Niedrig | Standard-Bauteile, multiple Quellen | Rahmenvertrag abschließen |
| Mittel | Single Source, aber verfügbar | Second Source qualifizieren |
| Hoch | Lange Lieferzeiten (>16 Wochen) | Buffer-Lager aufbauen |
| Kritisch | EOL/NRND Status, keine Alternative | Redesign vor Skalierung! |

“Ich habe Projekte erlebt, die monatelang auf einen einzigen Mikrocontroller warten mussten. Ein Redesign hätte drei Wochen gedauert. Die Lehre: Prüfen Sie die Lieferkette, bevor Sie skalieren.”
Hommer Zhao
Gründer, pcbleiterplatte.com
Dimension 4: Dokumentationsreife
Für Prototypen reicht oft das, was "im Kopf des Entwicklers" steckt. Für Serienproduktion brauchen Sie vollständige, versionierte Dokumentation:
- Schaltplan und Layout: Geprüft, freigegeben, versioniert
- Stückliste (BOM): Mit Hersteller, Bestellnummer, Alternativen
- Bestückungszeichnung: Mit Polaritätsmarkierung
- Fertigungsdaten: Gerber/ODB++, Pick-and-Place, Stencil
- Testspezifikation: Was wird wie geprüft?
- Arbeitsanweisungen: Für manuelle Prozesse
- Qualitätskriterien: Was ist OK, was ist NOK?
Dimension 5: Regulatorische Reife
Je nach Zielmarkt und Anwendung gelten unterschiedliche Anforderungen:
| Markt/Anwendung | Typische Anforderungen | Vorlaufzeit |
|---|---|---|
| EU Consumer | CE (EMV, LVD), RoHS, WEEE | 4-8 Wochen |
| EU Industrie | CE (Maschinenrichtlinie), EN 61010 | 8-12 Wochen |
| Automotive | IATF 16949, PPAP, FMEA | 3-6 Monate |
| Medizintechnik | MDR, ISO 13485, 60601 | 6-18 Monate |
| USA | FCC, UL (falls erforderlich) | 6-12 Wochen |
Wichtig für 2026
Die neue EU-Maschinenverordnung (EU) 2023/1230 tritt 2027 vollständig in Kraft. Wenn Sie 2026 mit der Serienproduktion starten, sollten Sie die neuen Anforderungen bereits berücksichtigen – Nachrüsten ist teurer als richtig planen.
Kostenvergleich: Prototyp vs. Serie
Ein wesentlicher Faktor bei der Skalierungsentscheidung sind die Stückkosten. Diese sinken mit steigender Menge – aber nicht linear, sondern in Stufen.
Kostentreiber bei Prototypen
| Kostenfaktor | Prototyp (1-10 Stück) | Serie (>1.000 Stück) |
|---|---|---|
| PCB-Fertigung | 50-150 €/Stück | 2-10 €/Stück |
| Stencil | 80-150 € (einmalig) | 300-800 € (Rahmen-Stencil) |
| Bauteil-Handling | Einzelne Tapes/Trays | Rollen, Feeder-Setup |
| Bestückung | Manuell/Semi-Auto | Vollautomatisch |
| Test | Flying Probe + manuell | ICT-Fixture + FCT |
| Rüstkosten | Hoch pro Stück | Gering pro Stück |
Die "Break-Even"-Analyse
Ab welcher Stückzahl lohnt sich die Investition in Serien-Tooling? Eine vereinfachte Rechnung am Beispiel:
Beispiel: SMD-Baugruppe mit 200 Bauteilen
Option A: Prototypen-Modus
- Stückkosten: 85 €
- Setup: 200 € einmalig
Option B: Serien-Modus
- Stückkosten: 35 €
- Setup: 2.500 € (Stencil, ICT-Fixture, Programmierung)
Break-Even: 2.500 € / (85 € - 35 €) = 50 Stück
Ab 50 Stück ist die Serien-Investition rentabel.

“Rechnen Sie immer den Gesamtlebenszyklus. Wenn Sie über 3 Jahre 2.000 Stück brauchen, lohnt sich das Serien-Tooling ab Tag eins – auch wenn die erste Lieferung nur 100 Stück umfasst.”
Hommer Zhao
Gründer, pcbleiterplatte.com
Die 5 häufigsten Skalierungsfallen
Aus meiner Erfahrung mit hunderten von Projekten hier die häufigsten Fehler beim Übergang zur Serie:
Falle 1: "Der Prototyp funktioniert doch!"
Das Funktionieren eines Prototypen beweist nur, dass das Konzept grundsätzlich trägt. Es beweist nicht:
- Dass die Schaltung auch bei Bauteil-Toleranzen funktioniert
- Dass das Produkt auch bei 85°C noch läuft
- Dass die EMV-Anforderungen erfüllt werden
- Dass 1.000 Einheiten identisch gefertigt werden können
Falle 2: Keine Second Sources
Wenn ein Bauteil nur von einem Hersteller kommt und dieser Lieferprobleme hat, steht Ihre gesamte Produktion still. Regel: Mindestens zwei qualifizierte Quellen für jeden kritischen Bauteil.
Falle 3: Tooling-Kosten unterschätzen
Die offensichtlichen Kosten (Stencil, ICT-Fixture) sind nur die Spitze. Versteckte Kosten umfassen:
- Programmierung von AOI, Pick-and-Place, ICT
- Erstmusterprüfung (PPAP bei Automotive)
- Qualifikationstests
- Dokumentationserstellung
- Schulung der Fertigungsmitarbeiter
Falle 4: Designänderungen während Ramp-Up
Nichts ist teurer als eine Designänderung, wenn die Serienfertigung bereits läuft. Tooling muss angepasst, Material verschrottet, neue Tests entwickelt werden.Design-Freeze bedeutet Design-Freeze.
Falle 5: Kapazitätsplanung vergessen
Ihr Fertiger hat auch andere Kunden. Wenn Sie von 100 auf 10.000 Stück springen, braucht er Vorlaufzeit für Materialplanung, Kapazitätsreservierung und Personal.Kommunizieren Sie Ihre Bedarfsprognose mindestens 3-6 Monate im Voraus.
Die Vorserie richtig nutzen
Die Vorserie ist Ihre letzte Chance, Probleme zu finden, bevor sie teuer werden. Nutzen Sie sie strategisch:
Was die Vorserie validieren sollte
| Aspekt | Prüfung | Akzeptanzkriterium |
|---|---|---|
| Fertigbarkeit | First-Pass-Yield messen | >95% (ideal: >98%) |
| Prozessfähigkeit | Cp/Cpk kritischer Merkmale | Cpk >1,33 |
| Teststrategie | Testabdeckung, False-Call-Rate | <1% False Calls |
| Zykluszeit | Taktzeit pro Station | Engpass identifiziert |
| Feldtest | Beta-Kunden-Feedback | Keine kritischen Issues |
Optimale Vorseriengröße
Die richtige Stückzahl für die Vorserie hängt von mehreren Faktoren ab:
- Statistische Signifikanz: Mindestens 30 Stück für aussagekräftige Daten
- Feldtestbedarf: Wie viele Beta-Kunden/Testgeräte?
- Qualifikationstests: Destruktive Tests (Umwelt, Zuverlässigkeit)
- Zertifizierung: Muster für Prüflabore
- Schulung: Samples für Training
Faustregel: 100-300 Stück für die meisten Industrieanwendungen,500+ Stück für Automotive mit PPAP-Anforderung.
Checkliste: Sind Sie bereit für die Serie?
Nutzen Sie diese Checkliste vor der Freigabe der Serienfertigung:
✓ Skalierungs-Readiness-Checkliste
- Technisch:
- □ Alle Funktionstests bestanden
- □ EMV-Prüfung abgeschlossen
- □ Umwelttests nach Spezifikation bestanden
- □ Keine offenen Designpunkte
- Fertigung:
- □ DFM-Review abgeschlossen
- □ Vorserie mit >95% First-Pass-Yield
- □ AOI/ICT/FCT-Programme verifiziert
- □ Reflow-Profil freigegeben
- Supply Chain:
- □ Alle Bauteile verfügbar/bestellt
- □ Second Sources für kritische Teile
- □ Rahmenverträge abgeschlossen
- Dokumentation:
- □ Fertigungsunterlagen freigegeben
- □ BOM eingefroren und versioniert
- □ Qualitätskriterien definiert
- Regulatorisch:
- □ CE/FCC/UL-Zertifizierung erhalten oder geplant
- □ Technische Dokumentation vollständig
- □ Rückverfolgbarkeit gewährleistet
Fazit: Skalierung ist ein Prozess, kein Moment
Der Übergang vom Prototyp zur Serie ist selten ein einzelner Entscheidungsmoment, sondern ein mehrstufiger Prozess, der sorgfältige Planung erfordert. Die Vorserie ist dabei keine Verschwendung, sondern eine Investition in Qualität und Effizienz.
Bei pcbleiterplatte.combegleiten wir unsere Kunden durch alle Phasen – von der ersten Prototypen-Leiterplatte über die validierte Vorserie bis zur skalierten Serienbestückung. Unsere Erfahrung zeigt: Wer die Hausaufgaben in der Entwicklung macht, spart in der Serie Zeit, Geld und Nerven.
Bereit für den nächsten Schritt?
Ob Sie gerade am Prototypen arbeiten oder die Serienfertigung planen – wir beraten Sie gerne zur optimalen Strategie für Ihr Projekt.
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Hommer Zhao
Gründer & CEO, WellPCB
Mit über 15 Jahren Erfahrung in der Elektronikfertigung leitet Hommer Zhao das Team bei WellPCB. Seine Leidenschaft: Komplexe technische Themen verständlich erklären.
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