Top 7 Qualitätstests für Leiterplatten: Von AOI bis HALT
Qualität 28. Dezember 2025 14 Min.

Top 7 Qualitätstests für Leiterplatten: Von AOI bis HALT

Welche Tests braucht Ihre PCB wirklich? Der umfassende Überblick über AOI, X-Ray, Flying Probe, ICT, Funktionstest und mehr – mit Auswahlhilfe.

Hommer Zhao

Hommer Zhao

Gründer & CEO, WellPCB

In der Elektronikfertigung gilt eine unbequeme Wahrheit: Jede unentdeckte Fehlerquelle auf der Leiterplatte multipliziert sich exponentiell durch die gesamte Wertschöpfungskette. Ein Lötkurzschluss, der bei der PCB-Inspektion durchrutscht, wird erst im Endprodukt entdeckt – mit Kosten, die 10- bis 100-fach höher liegen als eine rechtzeitige Korrektur. Bei kritischen Anwendungen in der Automobilindustrie oder Medizintechnik können solche Versäumnisse katastrophale Folgen haben.

Nach über 15 Jahren in der PCB-Fertigung und SMD-Bestückung habe ich eines gelernt: Qualität ist kein Zufall, sondern das Ergebnis systematischer Prüfprozesse. In diesem Artikel stelle ich Ihnen die 7 wichtigsten Qualitätstests vor, die jede professionelle Leiterplatte durchlaufen sollte – und erkläre, wann welcher Test zum Einsatz kommt.

Die Kernaussage dieses Artikels

Professionelle Qualitätssicherung erfordert eine abgestimmte Kombination verschiedener Prüfmethoden. Kein einzelner Test kann alle potenziellen Fehler aufdecken – erst das Zusammenspiel von optischen, elektrischen und mechanischen Prüfungen schafft die Basis für zuverlässige Elektronikprodukte.

Übersicht: Die 7 essentiellen Qualitätstests

Bevor wir ins Detail gehen, hier eine Übersicht der wichtigsten Prüfverfahren und ihrer jeweiligen Stärken:

TestPrimärer FokusFehlertypenZeitpunkt
AOIOptische DefekteLöt-, Bestückungs-, PolaritätsfehlerNach Reflow/Wave
X-Ray (AXI)Verdeckte VerbindungenBGA-Voids, Hidden ShortsNach Bestückung
Flying ProbeElektrische VerbindungOpens, Shorts, WiderstandBare Board / Prototyp
ICTBauteilwerteFalsches/fehlendes BauteilSerienproduktion
FunktionstestSystemverhaltenDesign-, Timing-FehlerEnd of Line
Boundary ScanDigitale ICsIC-Fehler, VerbindungenNach Bestückung
UmwelttestsZuverlässigkeitLangzeitfehler, DelaminationQualifikation

Test 1: Automatische Optische Inspektion (AOI)

AOI-Prüfung einer bestückten Leiterplatte

Die AOI (Automated Optical Inspection) ist heute der Standard in jeder professionellen SMD-Linie. Hochauflösende Kameras erfassen die bestückte Leiterplatte aus verschiedenen Winkeln und vergleichen das Bild mit einem programmierten Soll-Zustand. Der Prozess ist schnell, berührungslos und erkennt die häufigsten Fertigungsfehler.

Was AOI erkennt – und was nicht

AOI-Systeme sind hervorragend geeignet für die Erkennung von:

  • Lötfehler: Kalte Lötstellen, Brücken, unzureichende Lotmenge
  • Bestückungsfehler: Fehlende, verschobene oder verdrehte Bauteile
  • Polaritätsfehler: Falsch orientierte ICs, Dioden, Kondensatoren
  • Beschriftungsprüfung: Falsche Bauteiltypen (bei sichtbarer Markierung)

Die Grenzen der AOI liegen bei allem, was optisch nicht zugänglich ist: Verdeckte Lötstellen unter BGAs, interne Schäden an Bauteilen oder elektrische Fehler ohne sichtbare Symptome.

Hommer Zhao

AOI ist wie ein Adlerauge für sichtbare Fehler – aber selbst der beste Adler kann nicht durch Gehäuse schauen. Deshalb kombinieren wir AOI immer mit elektrischen Tests.

Hommer Zhao

Gründer, pcbleiterplatte.com

AOI-Optimierung in der Praxis

Ein häufiges Problem bei AOI ist die sogenannte False-Call-Rate – also Fehlalarme, bei denen das System einen vermeintlichen Defekt meldet, der bei manueller Nachprüfung in Ordnung ist. In unserer Qualitätssicherung optimieren wir die AOI-Programme kontinuierlich, um die False-Call-Rate unter 0,5% zu halten. Das spart Zeit und erhöht die Prozesssicherheit.

Test 2: Röntgeninspektion (X-Ray / AXI)

Wo AOI an ihre Grenzen stößt, beginnt das Reich der Röntgeninspektion. Besonders bei modernen Packages wie BGA (Ball Grid Array),QFN (Quad Flat No-Lead) oder Flip-Chip-Montagen sind die kritischen Lötstellen vollständig verdeckt – optisch unsichtbar, aber röntgentechnisch perfekt analysierbar.

Typische X-Ray-Anwendungen

AnwendungPrüfkriteriumTypische Grenzwerte
BGA-InspektionVoid-Anteil, Ball-Größe<25% Void nach IPC-7095
QFN-KontrolleThermal-Pad-Benetzung>50% Kontaktfläche
Through-HoleDurchstiegfüllung>75% Füllgrad
Multilayer-PCBVia-IntegritätKeine Hohlräume/Risse

2D vs. 3D-Röntgen

Moderne AXI-Systeme (Automated X-Ray Inspection) bieten zwei Betriebsmodi:

  • 2D-Röntgen: Schnell, kostengünstig, gut für Standard-BGAs. Liefert ein Überlagerungsbild aller Ebenen.
  • 3D-CT (Computertomographie): Detaillierte Schicht-für-Schicht-Analyse. Ideal für komplexe Multilayer oder Failure Analysis. Zeitaufwändiger, aber unschlagbar präzise.

Bei unseren mehrlagigen Leiterplatten setzen wir 3D-CT besonders für die Erstmusterprüfung ein, um Via-Strukturen und Innenlagenregistrierung zu verifizieren.

Test 3: Flying Probe Test

Der Flying Probe Test ist der flexible Allrounder unter den elektrischen Prüfverfahren. Mehrere bewegliche Prüfnadeln (typischerweise 4-8) kontaktieren nacheinander verschiedene Punkte auf der Leiterplatte und messen elektrische Parameter wie Durchgang, Isolationswiderstand und Kapazität.

Vorteile des Flying Probe Tests

  • Keine Fixture-Kosten: Ideal für Prototypen und Kleinserien
  • Maximale Flexibilität: Programmänderungen in Minuten möglich
  • Hohe Testabdeckung: Jedes Net kann individuell geprüft werden
  • Bare-Board-Test: Perfekt für die Leiterplatten-Eingangskontrolle

Flying Probe vs. Fixture-Test: Entscheidungsmatrix

KriteriumFlying ProbeFixture-Test
Stückzahl1-500 Stück>500 Stück
Testzeit pro PCB30s - 5min5-30s
Setup-Kosten50-200 €2.000-10.000 €
Änderungsflexibilität★★★★★★★☆☆☆
Durchsatz★★☆☆☆★★★★★
Hommer Zhao

Für jeden Prototypen machen wir einen Flying Probe Test – das kostet einen Bruchteil dessen, was eine unentdeckte Leiterbahn-Unterbrechung später in der Felddiagnose kosten würde.

Hommer Zhao

Gründer, pcbleiterplatte.com

Test 4: In-Circuit-Test (ICT)

Der In-Circuit-Test (ICT) ist der Goldstandard für die Serienproduktion. Ein speziell angefertigtes Nadelbett-Fixture kontaktiert gleichzeitig alle Testpunkte der Baugruppe und ermöglicht blitzschnelle, umfassende elektrische Prüfungen.

Was ICT prüft

  • Bauteilwerte: Widerstände, Kapazitäten, Induktivitäten
  • Bauteilorientierung: Dioden, Transistoren, ICs
  • Verbindungsintegrität: Opens, Shorts zwischen Netzen
  • Spannungsregler: Ausgangsspannung unter Last
  • Einfache Funktionstests: Oszillator-Prüfung, Reset-Verhalten

ICT-Design-Regeln

Damit ICT effektiv eingesetzt werden kann, muss das PCB-Design entsprechendeTestpunkte vorsehen. Unsere Empfehlungen nach IPC-7351:

ICT-Designrichtlinien

  • Testpunkt-Durchmesser: mindestens 1,0 mm (ideal: 1,5 mm)
  • Testpunkt-Abstand: mindestens 2,54 mm (100 mil)
  • Alle kritischen Nets mit Testpunkt versehen
  • Testpunkte auf einer Seite konzentrieren (Single-Side-Probing)
  • Keine Testpunkte unter hohen Bauteilen platzieren
  • Fiducials für Fixture-Ausrichtung vorsehen

Bei unserer SMD-Bestückung beraten wir unsere Kunden bereits in der Designphase zur optimalen Testpunkt-Platzierung – das spart später erhebliche Kosten beim Fixture-Bau.

Test 5: Funktionstest (FCT)

Während ICT einzelne Bauteile und Verbindungen prüft, testet der Funktionstest (Functional Test, FCT) die Baugruppe als Gesamtsystem. Die Leiterplatte wird unter realen Betriebsbedingungen getestet – mit Versorgungsspannung, Eingangssignalen und Lasten.

Funktionstestarten

TestartBeschreibungAnwendung
Hot Mock-UpSimulation der Zielsystem-UmgebungAutomotive Steuergeräte
Power-Up-TestStromaufnahme, SpannungspegelNetzteile, LED-Treiber
Communication TestCAN, LIN, Ethernet, USBKommunikationsmodule
Burn-InBetrieb unter erhöhter TemperaturHochzuverlässigkeitsanwendungen

FCT-Testabdeckung

Ein gut konzipierter Funktionstest erreicht typischerweise eine Fehlerabdeckung von 85-95%. Die verbleibenden Prozent betreffen meist:

  • Selten genutzte Funktionspfade
  • Grenzwertverhalten (nur bei Stresstests erkennbar)
  • Timing-kritische Fehler
  • Alterungsbedingte Ausfälle
Hommer Zhao

Der Funktionstest ist wie eine Generalprobe vor der Premiere. Wenn die Baugruppe hier versagt, hätte sie auch beim Kunden versagt – nur dass wir es rechtzeitig herausfinden.

Hommer Zhao

Gründer, pcbleiterplatte.com

Test 6: Boundary Scan (JTAG)

Boundary Scan, standardisiert als IEEE 1149.1 (auch bekannt als JTAG), ist ein cleveres Verfahren zum Testen digitaler ICs und ihrer Verbindungen – ohne physikalischen Zugang zu den Pins. Der Test nutzt spezielle Testlogik, die in kompatible ICs integriert ist.

Funktionsweise

Jeder JTAG-fähige IC enthält ein Boundary-Scan-Register – eine Kette von Flip-Flops an jedem Ein- und Ausgang. Über den JTAG-Port (TDI, TDO, TCK, TMS) können diese Register angesteuert werden, um:

  • Eingangszustände einzulesen (Sample)
  • Ausgangszustände zu erzwingen (Preload/Extest)
  • IC-interne Register zu prüfen (BIST)
  • Flash-Speicher zu programmieren (ISP)

Boundary Scan Einsatzszenarien

AnwendungVorteileVoraussetzung
BGA-VerbindungstestKein physischer Zugang nötigJTAG-fähiger BGA
Flash-ProgrammierungIn-System-ProgrammingJTAG-Chain zu Flash
Cluster-TestMehrere ICs über eine ChainDurchgängige JTAG-Chain
FehlerdiagnosePingenauer FehlerberichtBSDL-Dateien verfügbar

Praxistipp: JTAG im Design einplanen

Planen Sie bereits im Schaltplan einen JTAG-Header ein und verbinden Sie alle JTAG-fähigen ICs zu einer Chain. Selbst wenn Sie den Test nicht sofort nutzen, ist er für spätere Felddiagnose oder Firmware-Updates unbezahlbar.

Test 7: Umwelt- und Zuverlässigkeitstests

Die bisherigen Tests prüfen die Baugruppe unter normalen Bedingungen. Umwelttestsgehen einen Schritt weiter und simulieren die Belastungen während der gesamten Produktlebensdauer – beschleunigt auf wenige Stunden oder Tage.

Die wichtigsten Umwelttests

TestBedingungenPrüft auf
Temperaturwechsel-40°C bis +125°C, 500+ ZyklenLötstellen-Ermüdung, Delamination
HALTExtreme Temp + VibrationDesignschwächen, Marginality
Feuchte-Wärme85°C / 85% RH (85/85)Korrosion, Elektromigration
VibrationRandom Vibration nach ProfilMechanische Ermüdung
ESDIEC 61000-4-2ESD-Empfindlichkeit

HALT vs. HASS

Zwei verwandte, aber unterschiedliche Konzepte:

  • HALT (Highly Accelerated Life Test): Wird in der Entwicklungsphase durchgeführt, um Designschwächen zu finden und die Betriebsgrenzen zu ermitteln. Ziel: Produkt verbessern.
  • HASS (Highly Accelerated Stress Screening): Wird in der Produktion angewendet, um latente Fertigungsfehler vor Auslieferung aufzudecken. Ziel: Frühausfälle eliminieren.

Für Automotive-Anwendungen nach IATF 16949 sind solche Qualifikationstests oft verpflichtend. Unsere Empfehlung: Mindestens einen HALT-Durchlauf für jedes neue Produktdesign einplanen.

Hommer Zhao

Ein Produkt, das den HALT überlebt, hat gute Chancen, auch 10 Jahre im Feld zu überleben. Ein Produkt, das beim HALT ausfällt, hätte auch beim Kunden ausgefallen – nur unkontrolliert und teurer.

Hommer Zhao

Gründer, pcbleiterplatte.com

Die optimale Teststrategie entwickeln

Die Kunst liegt nicht darin, alle Tests durchzuführen, sondern die richtige Kombination für Ihre spezifische Anwendung zu finden. Hier unsere Empfehlungen nach Anwendungsbereich:

Teststrategie nach Branche

BrancheEmpfohlene TestsBegründung
ConsumerAOI + FCTKostenoptimiert, ausreichend
IndustrieAOI + ICT + FCTHöhere Zuverlässigkeit
AutomotiveAOI + X-Ray + ICT + FCT + UmweltIATF 16949 / Null-Fehler
MedizintechnikAOI + X-Ray + ICT + FCT + HALTFDA/MDR Konformität
Luft-/RaumfahrtAlle Tests + Burn-InMaximale Zuverlässigkeit

Kosten-Nutzen-Abwägung

Jeder Test hat seinen Preis – nicht nur in Euro, sondern auch in Zeit und Komplexität. Die Faustregel: Je später ein Fehler entdeckt wird, desto teurer wird er. Die sogenannte "Rule of Ten" besagt:

  • Fehler in der Entwicklung beheben: 1x Kosten
  • Fehler in der Produktion entdecken: 10x Kosten
  • Fehler beim Kunden auftreten: 100x Kosten
  • Fehler im Feld beheben (Rückruf): 1000x Kosten

Checkliste: Qualitätsprüfung planen

Nutzen Sie diese Checkliste, um Ihre Teststrategie systematisch zu entwickeln:

✓ Qualitätstest-Planungscheckliste

  • □ Anwendungsbereich definiert (Consumer/Industrie/Automotive/Medizin)
  • □ Qualitätsanforderungen spezifiziert (AQL, PPM-Ziele)
  • □ Kritische Bauteile identifiziert (BGA, QFN, Fine-Pitch)
  • □ AOI-Programm erstellt und optimiert
  • □ X-Ray-Inspektion für verdeckte Lötstellen eingeplant
  • □ Flying Probe Test für Prototypen vorgesehen
  • □ ICT-Testpunkte im PCB-Design berücksichtigt
  • □ Funktionstest-Spezifikation erstellt
  • □ JTAG-Chain im Design eingeplant (falls anwendbar)
  • □ Umwelttests für Qualifikation definiert
  • □ Rückverfolgbarkeit sichergestellt

Fazit: Qualität ist eine Investition, kein Kostenfaktor

Die sieben vorgestellten Qualitätstests bilden zusammen ein lückenloses Sicherheitsnetz für Ihre Elektronikprodukte. Kein einzelner Test ist perfekt – aber in der richtigen Kombination decken sie nahezu jede denkbare Fehlerquelle ab.

Bei pcbleiterplatte.comintegrieren wir diese Prüfverfahren nahtlos in unsere Fertigungsprozesse. Von der PCB-Fertigungüber die SMD-Bestückung bis zur Kabelkonfektion – Qualitätssicherung ist bei uns keine nachgelagerte Kontrolle, sondern integraler Bestandteil jedes Prozessschritts.

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Tags:PCBLeiterplatteQualitätFertigung
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Hommer Zhao

Gründer & CEO, WellPCB

Mit über 15 Jahren Erfahrung in der Elektronikfertigung leitet Hommer Zhao das Team bei WellPCB. Seine Leidenschaft: Komplexe technische Themen verständlich erklären.

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