Top 6 Automotive-Kabelbaum Anforderungen nach IATF 16949
Kabelbäume 24. Dezember 2025 15 Min.

Top 6 Automotive-Kabelbaum Anforderungen nach IATF 16949

Von PPAP bis FMEA: Was automotive-qualifizierte Kabelbäume erfüllen müssen. Der Praxisleitfaden für OEM-Zulieferer.

Hommer Zhao

Hommer Zhao

Gründer & CEO, WellPCB

Die Automobilindustrie stellt die höchsten Anforderungen an Kabelbäume und Leitungssätze. Kein Wunder: Ein modernes Fahrzeug enthält 3-5 Kilometer Kabel mit 1.500-3.000 Einzelleitungen, die unter extremsten Bedingungen 15+ Jahre zuverlässig funktionieren müssen. Die IATF 16949und branchenspezifische Standards wie VW TL 82066 oder LV 112 definieren, was "automotive-tauglich" bedeutet.

Als Fertiger mit IATF 16949-Zertifizierung kenne ich die Anforderungen aus der täglichen Praxis. In diesem Artikel zeige ich Ihnen die 6 wichtigsten Anforderungen, die automotive-qualifizierte Kabelbäume erfüllen müssen – und erkläre, warum jede einzelne über Sicherheit und Zuverlässigkeit entscheidet.

Die Kernaussage dieses Artikels

Automotive-Kabelbäume sind keine Massenware, sondern sicherheitskritische Komponenten. Die IATF 16949 und OEM-Spezifikationen definieren präzise Anforderungen an Material, Fertigung und Dokumentation. Wer diese Anforderungen nicht lückenlos erfüllt, hat im Automotive-Sektor keine Chance – und das aus gutem Grund.

IATF 16949: Der Goldstandard der Automobilindustrie

Die IATF 16949 (International Automotive Task Force) ist mehr als nur ein Qualitätsstandard – sie ist die Eintrittskarte in die automobile Lieferkette. Der Standard baut auf ISO 9001 auf, geht aber in entscheidenden Punkten deutlich weiter:

AspektISO 9001IATF 16949
FehlerzielKontinuierliche VerbesserungNull-Fehler-Strategie
RisikoanalyseRisikobasierter AnsatzFMEA verpflichtend
LieferantenmanagementLieferantenbewertungLieferantenentwicklung
ProduktionsfreigabeInterne FreigabePPAP mit Kundengenehmigung
RückverfolgbarkeitEmpfohlen100% verpflichtend
Hommer Zhao

Die IATF 16949 ist kein Papiertiger. Bei jedem Audit wird geprüft, ob wir leben, was wir dokumentiert haben. Das macht uns besser – für alle Kunden, nicht nur im Automotive-Bereich.

Hommer Zhao

Gründer, pcbleiterplatte.com

Anforderung 1: Materialspezifikation nach OEM-Normen

Automotive-Kabelbaum in der Fertigung

Jeder OEM (Original Equipment Manufacturer) hat eigene Werksnormenfür Kabelmaterialien. Diese spezifizieren nicht nur allgemeine Eigenschaften, sondern exakte Anforderungen an jede Materialkomponente.

Wichtige OEM-Normen für Kabel

OEMNormSchwerpunkte
VW/AudiTL 82066, LV 112Leitungssätze, Kabelfarben
BMWGS 95024, GS 95026Stecker, Klimatests
MercedesDBL 8451, DBL 8453Kontaktteile, Isolation
GeneralLV 214, ISO 6722Branchenübergreifend

Typische Materialanforderungen

Was diese Normen konkret bedeuten, zeigt ein Beispiel für eine Standard-Fahrzeugleitung:

Beispiel: FLRY-B 0,5 mm² nach LV 112

  • Leiter: Kupfer, verzinnt, 19 Einzeldrähte á 0,18 mm
  • Isolation: PVC-Compound, Wandstärke 0,35 mm ±0,05 mm
  • Außendurchmesser: 1,6 mm ±0,1 mm
  • Temperaturbereich: -40°C bis +85°C (kurzzeitig +105°C)
  • Biegefestigkeit: >10.000 Zyklen bei 10x Außendurchmesser
  • Flammwidrigkeit: ISO 6722 Klasse B (selbstverlöschend)
  • Abriebfestigkeit: >150 Zyklen nach ISO 6722

Materialzertifikate und Traceability

Für jeden Artikel in einem Automotive-Kabelbaum muss eine lückenlose Materialdokumentation vorliegen:

  • CoC (Certificate of Conformity): Bestätigung der Normkonformität
  • IMDS-Eintrag: International Material Data System für Recycling
  • RoHS-/REACH-Konformität: Keine verbotenen Substanzen
  • Chargennummer: Rückverfolgung bis zum Rohmaterial

Anforderung 2: Crimpqualität nach IPC/WHMA-A-620

Die Crimpverbindung ist das Herzstück jeder Kabelkonfektionierung. Ein Crimp mit falscher Kraft, falscher Position oder falschen Werkzeugen kann im Betrieb versagen – mit potenziell katastrophalen Folgen.

Qualitätskriterien nach IPC/WHMA-A-620

MerkmalKlasse 2 (Standard)Klasse 3 (Hochzuv.)
Crimphöhe±0,05 mm zum Soll±0,02 mm zum Soll
Crimpbreite±0,1 mm zum Soll±0,05 mm zum Soll
Zugkraft>60% des Leiternennwerts>80% des Leiternennwerts
IsolationscrimpSichtbare Umschließung360° Umschließung
Litzenenden<2 mm Überhang<1 mm Überhang

Crimpkraftüberwachung (CFM)

In der Automotive-Serienfertigung ist Crimpkraftüberwachung (Crimp Force Monitoring, CFM) Standard. Die Maschine misst bei jedem Crimpvorgang den Kraft-Weg-Verlauf und vergleicht ihn mit einem Referenzprofil.

  • Zu wenig Kraft: Möglicherweise fehlendes oder falsches Kabel
  • Zu viel Kraft: Doppeltes Kabel oder falscher Kontakt
  • Falscher Kurvenverlauf: Beschädigtes Werkzeug oder Material
Hommer Zhao

Ein Crimp, der heute hält, kann in 10 Jahren versagen. CFM gibt uns die Sicherheit, dass jede einzelne Verbindung innerhalb der Spezifikation liegt – nicht nur die Stichproben.

Hommer Zhao

Gründer, pcbleiterplatte.com

Anforderung 3: Umweltbeständigkeit für den Fahrzeugeinsatz

Kabelbäume im Fahrzeug müssen unter extremen Umweltbedingungenfunktionieren. Die Anforderungen unterscheiden sich je nach Einbauort:

EinbauortTemperaturBesondere Anforderungen
Motorraum-40°C bis +125°CÖl-, Kraftstoff-, Kühlmittelbeständigkeit
Unterboden-40°C bis +85°CSalzsprühnebel, Steinschlag, Wasser
Innenraum-40°C bis +85°CUV-Beständigkeit, Emissionen (VOC)
Türen-40°C bis +85°CBiegewechselfestigkeit (Türöffnungen)
Batterie (HV)-40°C bis +60°CEMV-Schirmung, Hochspannungssicherheit

Typische Qualifikationstests

Um die Umweltbeständigkeit nachzuweisen, durchlaufen Automotive-Kabelbäume umfangreiche Tests gemäß LV 124 (Elektrische Prüfungen) und LV 214 (Umweltprüfungen):

  • Temperaturwechsel: 1.000 Zyklen -40°C/+125°C
  • Salzsprühnebeltest: 720 Stunden nach DIN EN ISO 9227
  • Vibration: Random Vibration nach LV 124
  • Wasserdichtheit: IP67/IP6K9K für exponierte Bereiche
  • Chemikalienbeständigkeit: Kontakt mit Fahrzeugmedien

E-Mobilität erhöht die Anforderungen

In Elektrofahrzeugen kommen zusätzliche Anforderungen hinzu: Hochvolt-Sicherheit(bis 800V), erweiterte EMV-Schirmung und thermisches Managementder Leistungskabel. Die Normen ISO 6469 und LV 123 definieren die spezifischen Anforderungen.

Anforderung 4: 100% Rückverfolgbarkeit

Im Automotive-Bereich ist Rückverfolgbarkeit (Traceability) nicht optional, sondern verpflichtend. Jeder Kabelbaum muss auf seine Komponenten, Fertigungsparameter und Qualitätsprüfungen zurückgeführt werden können – 15 Jahre nach Produktionsende.

Was muss rückverfolgbar sein?

KategorieDatenpunkteAufbewahrung
MaterialLieferant, Charge, Eingangsdatum15+ Jahre
FertigungDatum, Schicht, Arbeitsplatz15+ Jahre
PrüfungTestergebnisse, Prüfer-ID15+ Jahre
ProzessCrimpkraft, Maschinenparameter15+ Jahre

Praktische Umsetzung

Die Rückverfolgbarkeit wird typischerweise über Barcode- oder DataMatrix-Codes realisiert:

  • Eingangsmaterial: Scannen bei Wareneingang, Verknüpfung mit Zertifikat
  • Arbeitsplätze: Scannen von Material und Auftrag vor Bearbeitung
  • Prüfstationen: Automatische Protokollierung der Testergebnisse
  • Fertigprodukt: Eindeutige Seriennummer mit allen verknüpften Daten
Hommer Zhao

Rückverfolgbarkeit klingt nach Bürokratie, ist aber im Ernstfall Gold wert. Wenn ein OEM anruft und nach Charge XY fragt, haben wir die Antwort in Sekunden – nicht in Tagen.

Hommer Zhao

Gründer, pcbleiterplatte.com

Anforderung 5: PPAP – Der Produktionsprozess-Nachweis

PPAP (Production Part Approval Process) ist der formale Nachweis, dass ein Fertigungsprozess in der Lage ist, qualitätskonforme Teile in Serie zu produzieren. Ohne PPAP-Genehmigung des Kunden darf kein Serienteil ausgeliefert werden.

Die 18 PPAP-Elemente

Ein vollständiges PPAP-Paket für Automotive-Kabelbäume umfasst bis zu 18 Elemente. Die wichtigsten:

Nr.ElementBeschreibung
1Design RecordsZeichnungen, Spezifikationen
4Design FMEARisikoanalyse des Designs
5Process FMEARisikoanalyse der Fertigung
6Control PlanPrüfplan mit allen Merkmalen
7MSAMessmittelfähigkeit (Gage R&R)
8Dimensional ResultsErstmusterprüfbericht
9Material TestsMaterialzertifikate, IMDS
11Process StudiesCpk-Nachweise für SC/CC
18PSWPart Submission Warrant

PPAP-Level

Je nach Kundenanforderung werden unterschiedliche PPAP-Level verlangt:

  • Level 1: Nur PSW (Warrant)
  • Level 2: PSW + ausgewählte Dokumente
  • Level 3: PSW + vollständige Dokumentation (Standard)
  • Level 4: PSW + kundenspezifische Anforderungen
  • Level 5: Vollständige Dokumentation vor Ort beim Kunden

Anforderung 6: FMEA – Fehler vermeiden, bevor sie entstehen

Die FMEA (Failure Mode and Effects Analysis) ist das zentrale Werkzeug der präventiven Qualitätssicherung. Statt Fehler zu finden und zu korrigieren, werden potenzielle Fehler vorhergesagt und verhindert.

FMEA-Typen im Kabelbau

FMEA-TypFokusVerantwortung
Design-FMEAProdukteigenschaften, FunktionEntwicklung/Kunde
Prozess-FMEAFertigungsprozesseFertigung/Qualität
Maschinen-FMEAAnlagen, WerkzeugeInstandhaltung

Risikobewertung: S × O × D = RPN

Jeder potenzielle Fehler wird nach drei Kriterien bewertet (je 1-10):

  • S (Severity): Schwere der Fehlerauswirkung
  • O (Occurrence): Wahrscheinlichkeit des Auftretens
  • D (Detection): Wahrscheinlichkeit der Entdeckung vor Auslieferung

Die Multiplikation ergibt die RPN (Risk Priority Number). Hohe RPN-Werte erfordern Maßnahmen zur Risikoreduktion.

Beispiel: Prozess-FMEA für Crimpvorgang

Potenzieller Fehler: Crimp mit zu geringer Zugkraft

  • Auswirkung: Kontaktverlust im Betrieb → S=9 (sicherheitskritisch)
  • Ursache: Verschleiß Crimpgesenk → O=4 (gelegentlich)
  • Entdeckung: Ohne CFM nur Stichprobe → D=7 (schwer erkennbar)
  • RPN: 9 × 4 × 7 = 252 (Maßnahme erforderlich!)
  • Maßnahme: 100% CFM-Überwachung → D neu = 2 → RPN = 72 ✓
Hommer Zhao

FMEA ist keine Pflichtübung für den Auditor, sondern echte Prävention. Jede Stunde, die wir in FMEA investieren, spart uns zehn Stunden in der Fehlerkorrektur – und verhindert Reklamationen beim Kunden.

Hommer Zhao

Gründer, pcbleiterplatte.com

Checkliste: Automotive-Kabelbaum Qualifikation

Nutzen Sie diese Checkliste zur Prüfung Ihrer Automotive-Bereitschaft:

✓ Automotive-Readiness-Checkliste

  • Zertifizierung:
  • □ IATF 16949 Zertifizierung gültig
  • □ ISO 9001 als Basis
  • □ Kundenspezifische Zulassungen (CSR)
  • Material:
  • □ Alle Materialien nach OEM-Norm spezifiziert
  • □ Materialzertifikate (CoC) vorhanden
  • □ IMDS-Einträge vollständig
  • □ RoHS-/REACH-Konformität nachgewiesen
  • Fertigung:
  • □ Crimpkraftüberwachung (CFM) auf allen Maschinen
  • □ Prozessfähigkeit (Cpk >1,33) nachgewiesen
  • □ Arbeitsanweisungen aktuell und freigegeben
  • □ Mitarbeiterschulung dokumentiert
  • Prüfung:
  • □ 100% elektrische Prüfung
  • □ Optische Kontrolle dokumentiert
  • □ Messmittel kalibriert (MSA nachgewiesen)
  • Dokumentation:
  • □ PPAP-Unterlagen vollständig
  • □ D-FMEA und P-FMEA aktuell
  • □ Control Plan freigegeben
  • □ Rückverfolgbarkeit 100%

Fazit: Automotive-Qualität ist kein Zufall

Die sechs vorgestellten Anforderungen zeigen: Automotive-Kabelbäume erfordern einen ganzheitlichen Qualitätsansatz. Von der Materialauswahl über die Fertigungsprozesse bis zur Dokumentation – jedes Detail zählt.

Bei pcbleiterplatte.comverstehen wir diese Anforderungen nicht als Bürde, sondern als Qualitätsgarantie. Unsere IATF 16949-Zertifizierung belegt, dass wir die Standards der Automobilindustrie nicht nur kennen, sondern leben – bei der Kabelkonfektion ebenso wie beiPCB-Fertigung und SMD-Bestückung.

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Tags:PCBLeiterplatteKabelbäumeFertigung
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Hommer Zhao

Gründer & CEO, WellPCB

Mit über 15 Jahren Erfahrung in der Elektronikfertigung leitet Hommer Zhao das Team bei WellPCB. Seine Leidenschaft: Komplexe technische Themen verständlich erklären.

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